Mittwoch, 28. Mai 2008

Verfolgungswahn

Manchmal, wenn Menschen umziehen, können sie ihre Telefonnummer mit in ihre neue Wohnung nehmen, die Nummer folgt der Person. Manchmal, wenn ich umziehe, folgt mir auch was. Durch drei Länder mittlerweile.
Fangen wir an: Münster. Da begann alles harmlos mit einer lauten Person, die über mir wohnte. Ich verdächtigte sie, ein kleines Pony in der Wohnung zu halten, mit dem sie nachts Springreiten übte. Und sie übte sehr fleißig, so laut polterte es.
Das Elend ging weiter in Kropswolde, Niederlande. Der Fluch der zivilisierten Welt traf mich dort: Der Techno. Und er hängte sich an meine Fersen. Wer noch nie in einem Zelt genächtigt hat, während nebenan ein Techno-Festival stattfand, dem kann ich sagen: Es gibt Erfahrungen, die muss man nicht machen. Der Boden bebte, vibrierte, wummerte. Eine Stunde lang war es sogar lustig, dass Hardcore-Klänge mein Gehirn aufweichten. Dann wurde ich genervt. Dann aggressiv. Nach vier Stunden hätte ich vor Verzweiflung weinen können.
Wenig später: Mein Auslandssemester in Turku, Finnland. Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Finnen Heavy Metal lieben? Der Finne, der über mir wohnte, liebte jedenfalls Techno. So sehr, dass ich manchmal in meiner kleinen Kammer unter ihm Filme nicht mehr verstehen konnte. Und wer braucht schon Schlaf vor vier Uhr nachts?
Münster. Wieder. Aber eine andere WG. Zunächst wohnten nur Kroaten neben mir. Die kroatische Heimatklänge so sehr liebten, dass drei Tage nach meinem Umzug der Hausmeister morgens bei mir klingelte, und mich beschuldigte, unter viel Lärm eine Einweihungsparty veranstaltet zu haben (ich war an dem Abend gar nicht zu Hause, wovon er nicht zu überzeugen war). Die Kroaten hören noch immer kroatische Volksmusik. Laut. Aber: Ich fühle mich schon richtig heimisch. Denn über mir wohnt ein neuer Technomann. Es wummert. Es elektrelt. Es piept und surrt. Eigentlich sollte man annehmen, ich sei daran gewöhnt. Das halte ich für ein Gerücht. Trotzdem versuche ich, mich in die Geräuschkulisse wie in eine vertraute Decke einzukuscheln. Techno ist Heimat. Muss man seine Heimat eigentlich gern haben...?

Freitag, 23. Mai 2008

Abi...was?

Als er mir entgegen kam, versucht er gerade, seine Füße zielgenau in die Ritzen zwischen den Steinen zu manövrieren. Zugegeben, keine leichte Aufgabe bei Füßen, die wie wandelnde Schuhkartons aussehen. Sein Bauch schwabbelte im Takt seiner Schritte. Auf, ab, auf, ab. Auf. Sein Schatten sah aus wie ein Weihnachtsmann - mit Geschenksack. Die Kleidung schälte sich wie die Rinde eines Baumes an seinen Körper. So eng, als hätte man sie mit flüssigem Fett ausgegossen. Ich kam näher, näher, stutzte. Mutig. Der Junge hatte gerade sein Abi gemacht. Stolz trug er es auf seinem zu engen Pulli in die Welt: Abipositas.